Samstag, 3. September 2011

Eine Brücke für Vicco von Bülow

Warum man die Bürgermeister-Smidt-Brücke nach Loriot benennen sollte
Vicco von Bülow
In der Debatte um einen Platz für Loriot hätten wir einen Vorschlag zu machen: Nennt die Bürgermeister-Smidt-Brücke um! Der Gründer Bremerhavens mag sich um das Land verdient gemacht haben. Sein Antisemitismus wird dabei verschwiegen.
Wenn man sogar lokalhistorisch gebildeten Bremern erzählt, dass Johann Smidt, 1821 bis 1857 Bürgermeister und zuvor Senator, ein knallharter Antisemit war und alle Juden aus der Stadt werfen wollte, will das kaum einer wahrhaben. „Wirklich?“ lautet dann die Gegenfrage. Oh ja!
Bürgermeister Smidt
Smidt wird für seine Weitsicht geehrt. Er war es, der beim Deutschen Bund die Selbständigkeit Bremens sicherte – bis heute ist das so. Und er gründete 1827 Bremerhaven. Die Weser versandete, so dass große Schiffe die Handelsmetropole nicht mehr anlaufen konnten. So gilt Smidt auch als Bewahrer des Wohlstands der Hanseaten.
Sein Antisemitismus ist in der Erinnerung kein Thema. Es gebe wichtigere Themen sagen die einen hinter vorgehaltener Hand, andere verweisen darauf, dass das doch damals normal gewesen sei. Zitieren lassen will sich damit freilich niemand. Beißt sich Smidts Judenhass zu sehr mit einer liberalen Tradition auf die Bremen stolz ist? Müsste man am Ende gar mit dem Klischee der liberalen und weltoffenen Hansestadt aufräumen?
Smidt verinnerlichte eine Variante des Antisemitismus, bevor Wilhelm Marr den Begriff geprägt hatte. Und er leitete daraus Politik ab, wenn auch Smidts antisemitische Staatsräson noch weniger grausam für die Betroffenen war als das, was die Nazis später taten.
Smidts Vokabular war unmissverständlich und reichte weit über die christlich tradierte Judenfeindschaft hinaus. Der gelernte Theologe schrieb 1814 als Senator über die Juden: «Ich habe bei diesen und anderen Gelegenheiten recht deutlich gesehen, wie klettenartig die Individuen dieser Nation zusammenhängen und welch furchtbaren Staat im Staate sie bilden.»
Damals wurde die Ausweisung aller Juden bis 1820 beschlossen. In dem Jahr wurden 13 jüdische Familienoberhäupter ins Rathaus einbestellt. Man teilte ihnen mit, dass alle verbliebenen Juden binnen etwa zwei Monaten die Stadt zu verlassen hätten. Der Senat und Smidt wollten das, was die Nazis später als «judenreine Stadt» bezeichnen werden. «Betonkopf» wäre eine verniedlichende Bezeichnung für Smidt. Unverholen restaurativ sollten die Errungenschaften der napoleonischen Zeit beseitigt werden.
Rund 130 Juden lebten noch in Bremen. Vom Senat unter Smidts Leitung – der 1821 Bürgermeister wurde – massiv unter Druck gesetzt, fanden nur wenige wohlhabende Familien eine Bleibe. Die anderen blieben vor Ort, erhielten Fremdenkarten, deren Gültigkeit dauernd verlängert werden musste.
Rausschmeißen konnte man die Juden eben doch nicht so einfach, wie es die Nazis später vor der systematischen Massenermordung taten. Wer sollte sie aufnehmen? Beim Deutschen Bund fürchtete man neuerliche Krawalle so kurz nach den «Hep-Hep-Unruhen» 1819, bei denen in mehreren Städten jüdische Geschäfte und Synagogen geplündert und zerstört wurden. Der kaiserliche Hof intervenierte. Doch die Politik der Stadt änderte sich nicht grundlegend.
Smidt war Vordenker und Verkäufer des Bremer Antisemitismus. Er verhandelte als Gesandter mit dem Bund und warb dort für seine Politik und er exekutierte in Bremen. Bis zu seinem Tod 1857 war er besessen von der Judenfeindschaft.
Es gibt in Bremen eine Bürgermeister-Smidt-Straße. Die Fußgängerzone und Nord-Süd-Achse der Bremerhavener Innenstadt trägt ebenfalls seinen Namen. Dazu die Bürgermeister-Smidt-Gedächtniskirche an eben jener Straße und ein Gymnasium. Am Südende der Kapitale ist ein großer Platz Theodor Heuss gewidmet. Das Denkmal darauf zeigt jedoch Smidt. Der Ex-Bürgermeister weist weltmännisch Richtung Wesermündung. 
Die lokale Geschichtsschreibung neigt zur Heldenverehrung. Der Historiker Wolfgang Wippermann goss 1985 erstmals Wasser in den Wein. In seiner Veröffentlichung «Jüdisches Leben im Raum Bremerhaven» schreibt er: «Heute scheint wenig bekannt zu sein, dass Smidt, der häufig als „Bremens größter Sohn“ gepriesen wird, einer der ersten Antisemiten gewesen ist.» Folgen: keine. 
In Berlin ist vor einiger Zeit mal wieder ein Streit um die Treitschkestraße im bürgerlichen Steglitz beendet worden, in den sich auch Wippermann einschaltete. Heinrich von Treitschke, Historiker und Publizist, entfachte 1879 mit dem Satz «Die Juden sind unser Unglück» den Berliner Antisemitismusstreit. Sein Name steht für die Verankerung des Antisemitismus’ im bürgerlichen Milieu. Immer wieder flammt eine Debatte um die Umbenennung auf.
Das ist mehr als in Bremerhaven, wo auch Wippermanns heimathistorisches Werk keine Debatte nach sich zog. Der Professor, der in Bremerhaven geboren ist und jetzt an der Universität der Künste in Berlin lehrt, sagt auch heute zum Namen der größten Kirche in Bremerhaven: «Das kann man nicht machen.»
Von einem «glatten Bild» in der Geschichtsschreibung spricht der Bremer Grünen-Abgeordnete Hermann Kuhn. Anders als in Bremerhaven kann sich Kuhn zwar an eine Debatte um Smidts Geschichtsbild in Bremen erinnern, doch die Chance, die Kirche oder Straßen umzubenennen, sei nicht genutzt worden.
Jetzt ist sie wieder da! Die nach Smidt genannte Brücke führt vom Brill zum Museum Weserburg. Der Institution stünde Loriot allemal besser zu Gesicht.
Und vielleicht kann sich Bremen auch der nach Smidt benannten Straßen und Institutionen annehmen. Wie? Werfen wir einen Blick nach Berlin: Die Treitschkestraße wird zwar weiterhin den Namen eines Antisemiten tragen, doch ein Park in der Nähe soll demnächst nach Harry Breßlau benannt werden. Der Geschichtsprofessor hatte damals öffentlich Position gegen Treitschke bezogen. Gedenktafeln sollen den Antisemitismusstreit erklären. In Bremen und Bremerhaven könnten sie darauf hinweisen, dass der Gründer der Hafenstadt Juden wegen ihres Judentums ausweisen ließ. JAN-PHILIPP HEIN

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